Lisa Marie Krätschmer und Michael Gugat vom Bündnis gegen Rechts haben zwei Reden zur Kundgebung beigetragen.
Lisa Marie Krätschmer, Bündnis gegen Rechts
Liebe Freundinnen und Freunde,
danke, dass ihr heute hier seid. Danke, dass ihr nicht wegschaut, sondern Haltung zeigt – in einer Zeit, in der das so dringend gebraucht wird.
Während wir hier für unsere Demokratie kämpfen, marschieren Rechtsextreme durch unsere Stadt. Sie behaupten, es gehe ihnen um „Sicherheit“. Doch was sie wirklich tun: Sie instrumentalisieren die schreckliche Tat des vergangenen Wochenendes für ihre eigene menschenverachtende Hetze. Sie instrumentalisieren eine Tat, bei der Menschen, die wir kennen und die wir lieben, verletzt wurden – schwer, zum Teil lebensgefährlich. Sie nutzen einen Moment des Schocks und der Trauer – um zu spalten, zu hetzen und Angst zu schüren. Und das dürfen wir nicht zulassen.
Ich selbst war in dieser Nacht im Cutie. Menschen aus meinem Umfeld wurden verletzt. Menschen, mit denen ich wenig zuvor noch an offenen, friedlichen Ort zusammen war und gefeiert habe– so wie wir es sollten: frei und ohne Angst.
Und jetzt erleben wir, dass Rechtsextreme versuchen, diesen Schmerz, unsere Verletzungen und unser Entsetzen für sich zu nutzen. Sie tun so, als würden sie uns beschützen wollen,
aber wir wissen, was dahinter steckt:
- Es geht ihnen nicht um Schutz – es geht um
Kontrolle. - Es geht Ihnen nicht um Sicherheit – sondern um
Ausgrenzung. - Es geht ihnen nicht um Sorge – sondern um
Spaltung.
Was die Rechtsextremen heute hier machen, ist widerlich. Sie trampeln auf unserem Schmerz herum, um ihre rassistische und queerfeindliche Agenda voranzutreiben.
Sie stellen sich vor unsere Clubs, vor unsere Kollektive, vor unsere Freund*innen – und behaupten, sie seien die Antwort auf Schreckenstaten, wie die vom vergangenen Wochenende.
Aber wir wissen, wer sie sind: Sie sind Teil des Problems, niemals Teil der Lösung.
- Denn sie sind es, die queeres Leben immer
wieder bedrohen und delegitimieren. - Sie sind es, die migrantische Menschen
systematisch entrechten wollen. - Sie sind es, die auf jeder Ebene – in den
Parlamenten, in den sozialen Medien, auf derStraße – Hass säen und damit genau das Klimaschaffen, in dem Gewalt gedeihen kann.
Und deswegen sagen wir: Ihr habt kein Recht, euch auf unsere Verletzungen zu berufen. Ihr habt kein Recht, euch mit unseren Freund*innen solidarisch zu zeigen. Ihr nutzt unser Leid als Bühne für eure Ideologie. Das ist kein Mitgefühl – das ist Missbrauch.
Was wir stattdessen brauchen und was wir auch in der letzten Woche erlebt haben – ist echte Solidarität. Wir haben gesehen, wie viele Menschen zusammengehalten haben. Wie viel Solidarität da war – im Krankenhaus, auf der Straße und in Gesprächen. Menschen, die sich umeinander kümmern. Menschen, die nicht zulassen, dass Hass die Oberhand gewinnt.
Und genau das macht uns stark: Nicht die Gewalt. Nicht die Angst. Sondern unsere Solidarität und unsere kollektive Stärke.
Und genau darum sind wir heute hier:
Wir lassen uns unsere Orte nicht nehmen.
Wir lassen uns unsere Stimmen nicht rauben.
Wir lassen uns nicht vereinnahmen – schon gar nicht von denen, die uns nie geschützt, sondern immer gefährdet haben.
Heute stehen wir Schulter an Schulter – queer, migrantisch, gewerkschaftlich, antifaschistisch.
- Wir stehen hier für unsere Freund*innen, die verletzt wurden.
- Wir stehen hier für alle, die sich nicht sicher fühlen.
- Und wir stehen hier für eine Welt, in der niemand Angst haben muss, frei zu leben und zu
lieben.
Unsere Solidarität ist stärker als euer Hass. Unsere Gemeinschaft ist größer als eure Ideologie. Und unsere Antwort ist klar: Kein Fußbreit den Faschisten – nie, nirgends, niemals!
Danke.
Michael Gugat, Bündnis gegen Rechts
Liebe Freund*innen, liebe Versammlung, liebe Bielefelder*innen,
wir stehen heute hier – am Ort einer furchtbaren Gewalttat – nicht nur, um zu trauern, nicht nur, um zu erinnern, sondern um klar zu sagen: Dieser Ort gehört uns. Unserer Stadt. Unserer Freiheit. Unserem Zusammenleben. Nicht den Hetzern. Nicht den Nazis.
Am 18. Mai wurden hier in den frühen Morgenstunden junge Menschen angegriffen. Beim Feiern, beim Tanzen, beim Leben. Es war eine feige, brutale Tat. Sie hat uns alle erschüttert. Unsere Gedanken sind bei den Verletzten, bei ihren Familien, Freundinnen und Freunden – und bei den Helfenden, bei allen,
die in jener Nacht Mut, Zivilcourage und Menschlichkeit gezeigt haben.
Und ja – wir wissen: Viele Menschen haben Angst. Angst davor, dass so etwas wie hier am Cutie jederzeit wieder geschehen kann. Angst, dass ein Angriff aus dem Nichts kommt, ohne Warnung, ohne Sinn. Angst, dass die eigenen Kinder zur falschen Zeit am falschen Ort sein könnten.
Diese Angst ist menschlich. Sie ist real. Und sie ist nachvollziehbar.
Denn wir leben in einer Zeit, in der Gewalt manchmal plötzlich und willkürlich über uns hereinbricht – in Clubs, in Zügen, auf Straßen, in Schulen. Sie kennt keinen festen Ort mehr, keinen festen Anlass. Und genau das macht sie so erschütternd.
Aber wir dürfen eines nicht zulassen: Dass diese Angst von denen ausgenutzt wird, die daraus politischen Profit schlagen wollen.
Dass sie uns gegeneinander stellt. Dass sie uns spaltet.
Denn Angst kann zwei Wege gehen: Sie kann in Hass umschlagen – oder in Zusammenhalt. Sie kann autoritäre Lösungen suchen – oder demokratische Antworten finden.
Nach dem rechtsextremen Terroranschlag auf der Insel Utøya im Jahr 2011, bei dem 77 Menschen, vor allem Jugendliche, ermordet wurden, sagte der damalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg:
„Unsere Antwort wird mehr Offenheit und mehr Demokratie sein. Nie Naivität – aber mehr Demokratie.“
Das ist auch unsere Haltung. Wir beantworten Angst nicht mit Abschottung. Nicht mit Misstrauen. Und nicht mit autoritären Rufen nach weniger Freiheit. Unsere Antwort ist: mehr Miteinander. Mehr Verantwortung. Mehr Aufklärung. Mehr Gerechtigkeit. Mehr Solidarität.
Denn Sicherheit entsteht nicht durch Mauern – sondern durch Menschen. Nicht durch Spaltung, sondern durch Zusammenhalt. Nicht durch Abschreckung, sondern durch Vertrauen.
Heute geht es auch darum, diesen Ort zu schützen – vor denen, die diese Tat missbrauchen wollen. Die heute durch unsere Stadt marschieren, als ob sie sich um die Opfer sorgen würden. Aber sie sorgen sich nicht. Sie instrumentalisieren. Sie hetzen.
Sie tragen Parolen wie „Remigration“ vor sich her – ein beschönigendes Wort für Deportation, für Entmenschlichung, für Ausgrenzung. Sie sprechen von Sicherheit – aber sie meinen Kontrolle. Sie meinen Angst. Und vor allem meinen sie: Ein Deutschland, das nicht uns allen gehört. Sondern nur ihnen.
Kein Platz für Rechtsextremismus. Nicht in Bielefeld. Nicht am Cutie. Nicht jetzt. Niemals.
Wir erleben gerade, wie Gewalttaten wie die vom 18. Mai von rechts missbraucht werden. Wie schnell ein Täter zum Repräsentanten einer Herkunft, einer Religion oder eines Aufenthaltsstatus gemacht wird – als ob Gewalt eine Nationalität hätte.
Aber gestern, am 23. Mai, hat (nach allem was wir bisher wissen) eine deutsche Frau mitten im Berufsverkehr in Hamburg 17 Menschen mit einem Messer verletzt. Eine Deutsche. Wahllos. Brutal. Ohne politisches Motiv. Und niemand sprach von „Remigration“. Niemand von „kulturellem Versagen“.
Und das ist auch richtig so. Denn Gewalt hat kein Herkunftsetikett. Sie ist kein kulturelles, sondern ein menschliches Problem – und vor allem eines für die Opfer. Was bei einem deutschen Täter als psychische Erkrankung gilt, wird bei einem syrischen Flüchtling als Beweis für kulturelles Scheitern gelesen. Das ist kein Zufall. Das ist Rassismus.
Wir müssen über die Tat vom 18. Mai sprechen – ernsthaft, ehrlich und differenziert. Und ja: Wir müssen auch darüber sprechen, was Menschen zu solchen Taten bringt. Denn nur wenn wir verstehen, wie Radikalisierung entsteht, können wir verhindern, dass sie sich wiederholt.
Aber genau deshalb führt die aktuelle Debatte in eine falsche Richtung. Sie dreht sich nicht um Ursachen, sondern um Zuschreibungen. Nicht um Lösungen, sondern um Schuldige. Und sie fixiert sich auf eines: die Herkunft des Täters.
Dabei ist klar: Herkunft erklärt keine Gewalt. Gewalt entsteht durch individuelle Radikalisierung, durch psychische Krisen, durch gesellschaftliche Ausgrenzung oder ideologische Verblendung. Ob jemand Syrer oder Deutscher ist, Christin oder Muslim, geflüchtet oder hier geboren – das allein sagt nichts darüber, ob jemand gewalttätig wird.
Radikalisierung ist kein Import. Sie passiert hier. In unseren Städten, in unseren Netzwerken, in unseren Schulen, in unseren sozialen Räumen. Und deshalb ist es unsere Aufgabe, ihr etwas entgegenzusetzen – mit Prävention, mit Bildung, mit Teilhabe, mit Aufklärung.
Wer sich stattdessen auf Herkunft als Erklärung versteift, lenkt ab von den Fragen, die wir stellen müssen: Welche Hilfsangebote haben versagt? Wo wurde weggeschaut? Welche Warnzeichen ignoriert? Welche Ideologien wurden verharmlost?
Und: Wir schaffen damit einen gefährlichen Doppelstandard. Wenn eine deutsche Frau zur Täterin wird, bleibt es ein Einzelfall. Wenn ein Geflüchteter zur Tat schreitet, wird eine ganze Gruppe stigmatisiert.
Das ist nicht nur eine gefährliche Erzählung. Es ist eine rassistische.
Wer Herkunft zum politischen Faktor erklärt, schafft kein Mehr an Sicherheit – sondern ein Klima der Angst, des Misstrauens, der Spaltung. Und genau das ist es, was die Rechten wollen: Ein Land, in dem Solidarität brüchig wird, in dem Mitgefühl nur noch nach einem vermeintlichen „innen“ funktioniert – und in dem wir anfangen, uns gegenseitig zu fürchten.
Aber eine demokratische Gesellschaft braucht das Gegenteil: Eine ehrliche Analyse. Eine Debatte, die nicht an der Hautfarbe endet. Eine Prävention, die auf Teilhabe, Gerechtigkeit und psychische Gesundheit setzt. Keine Schlagzeilen, sondern Lösungen.
Darum sagen wir heute: Wer sich bei Gewalt nur für den Pass des Täters interessiert, will nicht aufklären, sondern ausgrenzen. Sicherheit entsteht nicht durch Abschiebung – sondern durch Zusammenhalt. Durch Gerechtigkeit. Durch Menschlichkeit.
Natürlich gilt auch: Wer eine solche Tat begeht, muss sich verantworten. Der Rechtsstaat muss handeln. Und auch für strafunmündige Täter*innen gibt es Möglichkeiten, die Gesellschaft zu schützen – ohne das Prinzip der Menschlichkeit aufzugeben.
Wir stehen heute hier zusammen – nicht weil wir alle gleich sind, sondern weil
wir zusammen leben wollen. Nicht weil wir dieselbe Herkunft haben, sondern weil wir dieselbe Haltung teilen.
Der Angriff vom 18. Mai war ein Angriff auf das Leben. Auf das Feiern, das Tanzen, das Miteinander. Und genau deshalb trifft er uns alle.
Die Rechten behaupten, sie kommen für Sicherheit. Aber sie bringen Unsicherheit. Sie kommen nicht für die Opfer. Sie kommen nicht für die Clubs, nicht für die Helfenden, nicht für die Freund*innen, die am Krankenbett wachen. Sie kommen für sich. Für ihre Agenda. Für ihre Hetze.
Und wir sagen den Rechten: Ihr seid nicht das „Wir“ dieser Stadt. Das „Wir“ dieser Stadt steht hier. Laut. Bunt. Entschlossen.
Bielefeld ist kein Spielplatz für Nazi-Propaganda. Nicht die Bühne für rechte Inszenierung. Bielefeld steht zusammen. Für die Clubs. Für die Verletzten. Für die Helfenden. Für alle, die hier leben wollen.
Und ja:
Wir lassen uns unser Leben nicht nehmen. Wir lassen uns das Tanzen nicht nehmen. Wir lassen uns das Glück nicht nehmen.
Nicht von Gewalttätern. Und nicht von denen, die mit dieser Gewalt Politik machen wollen.
Nicht am Cutie. Nicht am Nummer zu Platz. Nicht in Bielefeld. Nicht jetzt.
Niemals.

